Peter Anderegg |
April 2020 Bodigt Corona den öV und die dichte Stadt? Menschen sollen sich nicht zu nahe kommen – Abstand halten und Hygiene beachten – haben wir schon fast verinnerlicht. Diese Massnahmen sind zwar nach wie vor zentral, um diesem fiesen Virus beizukommen. Was uns in dieser Ausnahmesituation logisch und selbstverständlich scheint, weckt aber auch Fragen für die Zeit danach. Müssen wir die bis anhin vernünftigen verkehrs- und siedlungspolitischen Ziele über Bord werfen? Taugen das Massentransportmittel, also der öV und die bauliche Dichte im Städtebau nichts mehr, weil wir uns zu nahe kommen? Das kann es ja wohl nicht sein, nur weil wir uns momentan aus dem Wege gehen und uns im Auto vor dem Virus «isolieren» – sofern wir den reisen müssen. Wendet sich also die zaghafte Verkehrswende wieder?
Das muss und darf nicht sein, wie auch der Beliner Verkehrsplaner Burkhard Horn im Beitrag «Corona und die Verkehrswende: Chancen, Risiken und Handlungsbedarfe» auf seiner webpage schreibt. Diese Krise habe «auch eine umfassende Diskussion über die langfristigen Chancen und Risiken in Gang gesetzt, was dies für die Gestaltung von Mobilität und Verkehr insbesondere in unseren Städten bedeutet» ist seinem news-letter zu entnehmen. Diese Diskussion sei eine unverhoffte Chance, schreibt er dort – «aber nur, wenn sie mehr ist, als das Propagieren vermeintlich einfacher Lösungen. Die leeren Straßen veranschaulichen mit aller Deutlichkeit, wieviel Platz in unseren Städten wir derzeit noch den Autos opfern – aber heißt das wirklich, dass das Auto auch langfristig an Attraktivität verlieren wird?» Wie gefährdet ist also das Konzept des öV? Die Gefahr für den öV besteht durchaus – aber auch für die bauliche Dichte in Städten. Grundsätzlich wird beides von Fachleuten nicht in Frage gestellt, aber Überlegungen angestellt, wie unsere Siedlungen und Mobilität virus-tauglich aussehen sollen. Nicht ganz neu ist die Forderung nach einer polyzentrischen Siedlungsentwicklung wie zum Beispiel die Dezentralisierung relevanter Dienstleistungen im Gesundheitsbereich und in der Grundversorgung. Oder ganz generell die Politik der kurzen Wege, welche nebst dem öV auch das zu «Fuss gehen» wieder in den Vordergrund rückt. Alte Postulate werden aktuell, nämlich wohnen, arbeiten und Freizeit wieder näher zusammenzubringen.
In diese Richtung geht das Diskussionspapier „Näher“ – „Öffentlicher“ – „Agiler“ Eckpfeiler einer resilienten „Post-Corona-Stadt“ von Wissenschafter/-innen des Wuppertal Instituts. Ganz wesentlich ist dabei auch, dass städtische Dichte nicht einfach als höhere Raumausnützung verstanden wird sondern als städtebauliche Qualität. Das heisst damit gleichzeitig, dass der oft vernachlässigte Aussenraum wiederbelebt werden muss: Grünraum, Plätze, öffentlicher Raum. Das sind auch Anliegen, die dem emeritierten Professor für Geschichte des Städtebaus an der ETH Zürich, Vittorio Lampugnani, am Herzen liegen. Sei es in seinen zahlreichen Essay zum Thema oder in Sachbüchern, wie z.B. «Urbane Qualitäten» (2016, Edition Hochparterre), «Radikal normal», Positionen zur Architektur der Stadt (2015, NZZ-libro) oder «Städtische Dichte» (2007, NZZ-libro). Wenn ich solche und andere Texte zum städtischen Leben in seiner Vielfalt lese, komme ich zum Schluss: Nein, wir müssen und dürfen den eingeschlagenen, vernünftigen Weg zur Stadt- und Verkehrsentwicklung nach Corona nicht über Bord werfen. Eine qualitätsvolle bauliche Dichte im Städtebau ist zukunftstauglich. Der öffentliche Verkehr und der Fussverkehr (begrenzt auch das Velo) sowie ein verträgliches Mass an MIV, ergänzt durch innovative Transportmittel, werden weiter die tragenden Stützen des Transportes in den Städten sein - intelligent unterstützt durch digitale Angebote. |